Wird Google sich selbst fressen?

        

 

 

        

Springerin, Heft 2/06

Theory Now

 

 

Wird Google sich selbst fressen?

 

 

ber das aktivistische Projekt Google Will Eat Itself, das sich mit der Monopolstellung der hchstdotierten Internet-Suchmaschine auseinander setzt

        

 

 

        

 

Slavo Krekovic

        

 

 

        

 

 

 

Die freundlich aussehende Suchmaschine, die gleichzeitig ein riesiges Werbeunternehmen ist, wird wieder einmal von aktivistischen KnstlerInnen angegriffen. Dem Projekt Google Will Eat Itself, das die Beziehungen zwischen neuer, auf Mausklicken basierender Wirtschaft, Technologie und Gesellschaft beleuchtet, ist es vor kurzem gelungen, ein greres Publikum auf sich aufmerksam zu machen. Zu Beginn des Jahres war es auch fr den transmediale-Award nominiert. Hans Bernhard, lizvlx (beide UBERMORGEN.COM), Alessandro Ludovico (Neural.it) und Paolo Cirio (epidemiC) mgen die Bezeichnung Hacktivisten nicht sie selbst nennen sich lieber digitale Aktionisten.

 

Die Idee des GWEI-Projekts ist auf gewisse Weise simpel, obgleich hoch entwickelt: Fr jeden Klick auf eine Werbeanzeige, die auf einer registrierten Partnerseite von Google erscheint, erhlt sowohl das Unternehmen als auch sein Partner ein paar Cent von den Anzeigen-Interessierten. Indem sie Google auf vielen ihrer eigenen, oft versteckten Seiten Platz fr Anzeigen bieten, verdienen die Entwickler von GWEI Geld, womit sie gleichzeitig Google-Aktien kaufen. Es wird zwar eine lange Zeit dauern, aber irgendwann wird Google den KnstlerInnen gehren dieses wachsende Informations- und Werbemonopol, das aufgrund seiner Macht im Begriff ist, ein gefhrliches Element unserer Informationsgesellschaft zu werden. Nachdem Google dies bemerkt hatte, lschte es einige der Partnerkonten, und die GWEI-Website verschwand aus ihrer Datenbank. Die brigen Konten blieben jedoch unberhrt, und das Projekt geht weiter: Von jetzt an wird es 3.443.287.037 Millionen Jahre dauern, bis GWEI alleiniger Eigentmer von Google ist.

 

Von frhen Tagen an funktionierte net.art als eine Art parallele Gegenbewegung zur traditionellen Kunstszene. Jetzt ist die Situation anders: Abgesehen von der Online-Version von GWEI stellte das Team auch in unterschiedlichen Galerien aus (Johannesburg, Berlin, So Paolo, Sydney). Es scheint so, als wrden wir eine Periode der Komplexen Kunst betreten, in der eine einzige Idee sich in verschiedenen Formen sowie in verschiedenen Medien manifestiert.

 

Slavo Krekovic: Wie seid ihr auf die Idee einer selbstreferentiellen Google-Parodie gekommen, und wie fand das Team zueinander?

 

lizvlx: Ich wei nicht, ob es wirklich eine Parodie ist. Wahrscheinlich eher nicht, GWEI ist nicht eigentlich witzig, oder? Ich finde es nicht witzig, dass man mit einer Firma Geld machen kann, die auf einem System von falschen bzw. nicht-falschen Klick-Quoten basiert, und dabei als ein beinahe regierungshnlicher Informationsanbieter posiert. Ich meine, das ist doch krank. Was bedeutet Geld noch, wenn eine Firma, die von kommerziellen Pixel-Pfeil-Zusammenhngen lebt, tausendmal mehr wert ist als, sagen wir, eine Nahrungskette oder, wenn Sie wollen, auch eine Bank. Ich glaube, dass es GWEI sehr ernst meint und dass Google die Parodie einer kapitalistischen Definition von Geld zu sein scheint.

 

Hans Bernhard: 2004 wurde die net.art-Welt von Google-Kunstprojekten berschwemmt. Sie alle beschftigten sich mit Suchergebnissen, der Bilddatenbank oder anderen Google-Diensten. Unsere knstlerische Strategie besteht darin, nach Schwachstellen innerhalb starker bzw. hoch-skalierter Systeme zu suchen und diese dann aggressiv auszuschlachten. Zum ersten Mal trafen wir uns auf dem Read_me-Festival in rhus (Dnemark). Wir brauchten mehr als sechs Monate, um uns auf die Kernprinzipien von Google konzentrieren zu knnen, all das strende Material zu reduzieren und zu eliminieren. GWEI ist eine Konzeptarbeit mit einem hohen Realittsanteil. Es ging darum zu verstehen, dass wir ein einfaches Modell bauen knnen, in dem der Riese sich selbst zum Kannibalen wird. Es ist ein selbstreferentielles Spiel und konzeptueller Hack der zweiten New-Economy-Blase.

 

Alessandro Ludovico: Ich habe mit vielen KnstlerInnen gesprochen, aber Hans Bernhard war (berraschenderweise) der erste, der wirklich an dem Projekt dranbleiben wollte. Ich fhlte mich ihm auf einer fruchtvollen, intellektuellen Wellenlnge verbunden. All das passierte, nachdem ich mehr als ein Jahrzehnt Kunstwerke anderer analysiert und kritisiert hatte. Dies ist das erste Mal, dass ich meine Hnde als Knstler schmutzig mache. Zu guter Letzt leben wir auch alle ziemlich weit voneinander entfernt (Bari, Turin, Wien, St. Moritz), aber im Moment scheint das ein weniger wichtiger Aspekt zu sein.

 

Krekovic: Je mehr Menschen die Google-Suchmaschine nutzen, desto mchtiger wird sie. Bist du nicht gelistet, existierst du nicht. Open-Source und nichtkommerzielle Suchmaschinen (wie etwa Mozdex) sind zu schwach als wirkliche Alternative. Kann das Erkennen bser Prozesse hinter dem netten Google-Gesichtchen die Situation verbessern? Und was sind die grten Gefahren von Googleschen Info-Monopolen?

 

Ludovico: Was Google auszeichnet, ist ein doppeltes Gesicht in Bezug auf die Markenwahrnehmung. Auf der einen Seite hat man dieses Porzellan-Interface witzig und total sauber , das sofort erkannt wird und jeder gerne hat, begleitet von einer Vielzahl positiver Gerchte. Auf der anderen Seite gibt es all diese Dienste, angeboten von demselben Konzern, der im Begriff ist, neuer Standard zu werden bzw. ein Monopol auszubilden. Dieser Mechanismus, der auch den Anstieg der Google-Aktie auszulsen scheint, mag Google zu einer unaufhaltsamen Maschine machen, die an einem nahezu totalen Interface fr die Dienste im Netz arbeitet. Egal was du tust, besser dran wrst du, wrdest du deine Daten ber Google-Server bermitteln und deine unvermeidlichen Spuren hinterlassen. Sie sind dabei, sich als dnne, globale und fast unsichtbare Schicht ber den Zugang zum gesamten Netz zu legen.

 

Bernhard: Wir ndern diese Situation nicht und wollen das auch gar nicht. Google ist Teil eines oligopolistischen Marktes (gemeinsam mit Yahoo und msn). Wir entwickeln lediglich Strategien, um solche Marktgiganten symbolisch anzugreifen. Das sind praktische (technische) und formale (sthetische) Spiele. Wir versuchen alle Information zu verffentlichen, die wir whrend eines solchen Experiments sammeln. Wir mgen Google, wir nutzen Google, wir machen uns ber Google-User und Google-Angestellte lustig. Die Position von Google ist eine dominierende, und zwar von dem Moment an, wo sie ein neues Geschftsfeld mit einem neuen Dienst erffnen. Das ist der Google-Effekt in einem Geschftsfeld fr Konsens zu sorgen, selbst wenn sie darin sofort die vorherrschende Rolle einnehmen. Der grte Feind eines solchen Riesen ist nicht ein anderer Riese, sondern der Parasit. Unsere Arbeitshypothese lautet: Wenn genug Parasiten kleine Geldbetrge aus diesem selbstreferentiellen Gebilde absaugen, werden sie diesen knstlichen Datenberg allmhlich abtragen und damit auch das Risiko eines digitalen Totalitarismus. Indem wir das GWEI-Modell lancieren, dekonstruieren wir den neuen globalen Werbemechanismus derart, dass wir ihn in ein surreales klickbasiertes Wirtschaftsmodell verwandeln. Die Realitt ist, dass Google im Moment hher bewertet wird als alle Schweizer Banken zusammen! 2005 verdiente Google 500 Millionen US-Dollar mit Anzeigen, und fr 2006 sind 1,5 Milliarden Dollar projektiert. Google nutzte das Wissen der Wirtschafts-Internet-Avantgarde. Die Zweitkommenden haben immer einen reellen Vorteil gegenber den Pionieren. Sie kombinieren eine technische High-Performance-Erfindung und ein super sauberes Geschftsmodell. Sie hatten das beste Produkt zur rechten Zeit. Aber hauptschlich profitierten sie von der Krise der Suchmaschinen, den berzogenen Energien und Visionen der dot.com und den irren Geschftsplnen, die dort kursierten.

 

lizvlx: Ich mchte hinzufgen, dass wir unseren Job als KnstlerInnen machen, um Fragen zu stellen und nicht, um Antworten zu geben. Ich will gar nicht, dass irgendjemand an meine Ideen glaubt. Ich mchte, dass die Menschen ihren eigenen Denkfhigkeiten trauen.

 

Krekovic: Unter euch sind Knstler, aber auch Journalisten und Theoretiker, die sich aktiv

mit der elektronischen Kultur beschftigen. Wie wrdet ihr die Entwicklung der Beziehungen zwischen Kunst und Technologie in der jngeren Vergangenheit beschreiben, und wie wrdet ihr euer Projekt darin verorten?

 

Bernhard: Nach dem fast schon futuristischen Ansatz, was Drogen und Technologie in den frhen net.art-Tagen angeht (man vgl. die Arbeiten von etoy, 19941997), kristallisierte sich eine Gruppe von AktionistInnen aus der allgemeinen net.art-Szene heraus. Eine Flle digitaler Aktionen wurde whrend der zweiten net.art-Periode (19982001) gestartet. Fr mich stellt GWEI eine neue Manifestation der Digitalkunst dar. Wir benutzen nicht die gesamten Massenmedien, sondern im Grunde ist das Projekt eine Konzeptarbeit (mit praktischen, technischen Anwendungen), die fr den Kunstmarkt produziert wurde. Die Objekte, die wir aus diesem Erlebnis heraus kreieren, sind hoch-skalierte Papierskulpturen, Diagramme und das GWEI-Siegel ein regierungshnliches Symbol, Digitaldruck auf Leinwand).

 

Ludovico: Ich persnlich denke, dass GWEI wirklich ein Kind seiner Zeit ist. Es entfaltet einige der grten Widersprche des immateriellen Zeitalters: die extreme Volatilitt der Wirtschaft, die global abstrakte und gleichzeitig persnliche Einbindung in die Net-Content-Economy, wobei stets das Monopolrisiko um die Ecke lauert.

 

 

http://www.gwei.org

*[V]ote-Auction; http://www.vote-auction.net

 

 

 

 

                 

 

bersetzung: Brandon Walder